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Mueller Stefan | Fellow Postdoctoral
1996-02-01 - 1998-02-28 | Research area: Other
Evolution formaler Organisation

Problemstellung:

Die formale Struktur der Evolutionstheorie trägt der Dynamik von Biomolekülen, Allelen bzw. Individuen Rechnung, während die Entstehung dieser Einheiten und ihrer funktionellen Abhängigkeiten nicht behandelt wird. Eine Theorie biologischer Organisation sollte jedoch neben den dynamischen auch die konstruktiven Elemente des Evolutionsvorganges umfassen.

Forschungsstand:

Zu den Minimalvoraussetzungen von Organisation gehören zwei abstrakte Eigenschaften der Chemie: Einerseits erzeugt die Kollision von Molekülen spezifisch neue Moleküle (Konstruktivist), andererseits liefern verschiedene Reaktanten dasselbe Endprodukt (Äquivalenz).

Die algorithmische Umsetzung dieser Eigenschaften führt auf ein Computerexperiment mit Ausdrücken einer formale Sprache, die in einem stochastischen Flußvektor unter vorgegebenen Randbedingungen wechselwirken. Dieses dynamische System erzeugt selbsterhaltende Organisationen, die durch einfache Gesetzmäßigkeiten gekennzeichnet sind: Die auftretenden Ausdrücke besitzen eine spezielle Struktur (Grammatik) und reagieren in charakteristischer Weise (Algebra).

Chemie ~ Biologie

Formale Sprache  < Grammatik, Algebra

Die Wahl der Randbedingungen beeinflußt den Grad der Organisation Grad 0 ist durch selbst- bzw. einander replizierende Objekte gekennzeichnet. Ein Verbot von Kopierreaktionen bewirkt das Entstehen von selbsterhaltenden Grad 1 Organisationen, aufgebaut aus Grad 0 Objekten. Grad 2 beschreibt die Verknüpfung zweier Grad 1 Objekte zu einer stabilen Metaorganisation,

Der Vergleich mit der Geschichte des Lebens liegt nahe. Hier reicht die Entwicklung von den Hyperzyklen der Biomoleküle über selbsterhaltende Prokaryonten bis zu deren Symbiose in Eukaryonten.  

Projektziele:

Im formalen Modell entstehen selbsterhaltende Organisationen als Konsequenz zweier abstrakter Eigenschaften der Chemie, ohne Rückgriff auf die natürliche Selektion. Dies bedeutet einen wichtigen Schritt in Richtung Formalisierung des konstruktiven Elements der Evolution. Um weitere Voraussetzungen und Merkmole realer Organisationen zu erfassen, sind allerdings zusätzliche Hilfsmittel aus der theoretischen Informatik sowie entsprechende Modifikationen des bestehenden Computerexperiments erforderlich.

Zur Präzisierung des Zusammenhangs Chemie-Formale Sprache muß das bestehende Modell in mehrere Richtungen erweitert werden. Die im folgenden angeführten Varianten hängen inhaltlich eng miteinander zusammen, wegen ihres Umfangs stellen sie jedoch selbständige Projekte dar. Der Ausbau des Computerexperiments bildet in jedem Fall das Hauptanliegen der Dissertation. Dabei sollen die Voraussetzungen für eine Neuformulierung der zugrundeliegenden Theorie geschaffen werden.

Arbeitsprogramm, Methodik:

1. Die Sichtweise einer chemischen Reaktion als logische Implikation legt den Gebrauch der formalen Logik zum Studium von Molekülbeziehungen nahe. Neben der Konstruktivität der Chemie muss darüberhinaus auch ihrer Kinetik Rechnung getragen werden. Angestrebt wird deshalb ein Verständnis des Wechselspiels von Dynamik und Strukturbildung. Zur Untersuchung dieser Frage sind verschiedene Maßnahmen erforderlich:

  • Einführung unterschiedlicher Reaktionskonstanten
  • Gewährleistung der Massenerhitzung (siehe Punkt 3)
  • Variation des Reaktormodells (variable Teilchenzahl, ...)

2. Im Gegensatz zu Ausdrücken einer formalen Sprache nehmen Moleküle Raum ein. Die Einführung eines Abstandskonzepts erscheint deshalb sinnvoll. Einerseits beschränkt der räumliche Abstand die Möglichkeiten der Interaktion. Andererseits erlaubt er die Entstehung neuer Strukturen (Membranen, ...). Wieder ist die Kopplung von logischen, kinetischen und räumlichen Beziehungen von entscheidender Bedeutung.

3. Jüngste Ergebnisse von Logik und theoretischer Informatik erlauben die 
Berücksichtigung von Massenerhaltung und Wechselwirkungssymmetrie. 
Ein erster diesbezüglicher Schritt besteht in der Klärung des Zusammenhangs zwischen Chemie und Beweistheorie. Eine chemische Reaktion erscheint dabei als Schlußfolgerung, bei der die Prämissen aufgebraucht werden, um die Konklusion zu liefern. Das hiezu nötige 
Instrumentarium ist unter der Bezeichnung Lineare Logik bekannt.